Das Drägerwerk sorgt mit seinen drei Genussschein-Serien immer wieder für Gesprächsstoff – nicht zuletzt deshalb, weil sich um diese Genussscheine der wohl größte laufende Gerichtsprozess aller SH-Unternehmen dreht. Der SH-Investor nimmt dies zum Anlass, um in einer neuen Serie ausführlich über die Dräger-Genussscheine zu berichten. Heute: Folge 5 – Offene Fragen & Antworten!
Das Verfahren um die Genussscheine des Drägerwerks hat bisher viele Fragen aufgeworfen und leider nur wenige Antworten geliefert. So bleiben immernoch eine Reihe offener Fragen, von denen einige wohl niemals vollständig beantwortet werden können. Dennoch wollen wir uns an dieser Stelle einmal mit einigen dieser Fragen auseinandersetzen.
Zur Sicherheit wollen wir an dieser Stelle vorab betonen, dass der SH-Investor weder Jurist ist, noch an dieser Stelle eine Rechtsberatung anbietet und daher auch keine Haftung für den Inhalt dieses Beitrags übernehmen kann. Die Verwendung des Inhalts erfolgt auf eigene Gefahr.
Können alle Genussschein-Anleger von einem Urteil oder einem Vergleich im vorliegenden Verfahren profitieren?
Grundsätzlich werden nur die Anleger von einem Urteil, bzw. einem Vergleich profitieren können, die die Verjährung ihrer Ansprüche aus Genussscheinen aus dem Jahr 2011 gegenüber der Drägerwerk AG & Co. KGaA bis spätestens Ende 2014 gehemmt haben. Das dürften vermutlich nur jene Anleger sein, die sich der Klage der Deutschen Balaton AG angeschlossen haben, da kein weiteres Gerichtsverfahren in dieser Angelegenheit bekannt geworden ist.
Kann ich als Anleger auch dann noch profitieren, wenn ich die Verjährung nicht fristgerecht gehemmt habe?
Dies ist rechtlich durchaus umstritten. Ein kleines Schlupfloch könnte die laufende Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes bieten, welcher in mehreren Urteilen bestätigt hat, dass eine Verjährung aus zweierlei Gründen ausgeschlossen sein könnte:
1. durch Unzumutbarkeit der fristgerechten Klageerhebung oder
2. durch eine insgesamt unklare Rechtslage bis zum Verjährungseintritt.
Zu. 1. „Unzumutbarkeit der Klageerhebung“:
Es erscheint höchst fraglich, ob eine fristgerechte Klageerhebung für die Investoren tatsächlich unzumutbar gewesen wäre. Immerhin hat sich mit der Deutschen Balaton AG durchaus eine Klägerin in dieser Sache gefunden, welche anderen Investoren sogar die Beteiligung an ihrer Klage angeboten hat. Dass die Deutsche Balaton AG hierfür eine ertragsschmälernde Erfolgsbeteiligung (50% des „Klage-Erlöses“) eingefordert hat, ist aus Sicht des SH-Investors insoweit irrelevant, als dass dies keinen Investor daran gehindert hat, seinerseits auf eigene Rechnung Klage zu erheben. Eine Unzumutbarkeit im rechtlichen Sinne vermögen wir an dieser Stelle daher nicht zu erkennen.
Zwar mag es moralisch und finanziell durchaus verständlich sein, dass Privat-Investoren aus Sorge um die Risiken vor einem Prozess zurückschrecken, doch erfahrungsgemäß nimmt die deutsche Rechtssprechung nur wenig Rücksicht auf die Belange von Kleinanlegern. Wenn eine geringe Kapitaldecke hingegen ein Argument für eine Verjährungshemmung wäre, dann hätte dies einen nahezu kompletten Wegfall sämtlicher Verjährungsvorschriften für einen Großteil der Bevölkerung zur Folge. Dies kann von der Judikative nicht gewollt sein und dürfte daher von einem Richter in der Regel verneint werden.
Fraglich wäre das Argument der Unzumutbarkeit zur fristgerechten Klageerhebung auch in Hinsicht auf die Frage in einem späteren (nicht mehr fristgerechten) Verfahren, warum eine ursprünglich bestehende Unzumutbarkeit der Klageerhebung später weggefallen sein soll. Wenn der Grund hierfür lediglich lauten sollte, dass in der Zwischenzeit im Verfahren der Deutschen Balaton AG gegen das Drägerwerk ein für die Anleger positives Urteil gefällt worden ist und die Unzumutbarkeit daher weggefallen sei, so dürfte ein Richter das Argument in der Hinsicht verwerfen, als dass ein lediglich kostensparendes Fahren im juristischen Windschatten anderer Prozesse von Justitia ebenfalls nicht gewollt sein kann.
Zu. 2. „Unklare Rechtslage“:
Nun wäre es sicher vermessen, das Verfahren ausschließlich darauf zu reduzieren, zu klären, ob eine Barabfindung für die Genussschein-Inhaber in Höhe von rund 5,50 Euro pro Genussschein „billigem Ermessen“ ent- oder widersprochen hat. Doch aus Sicht des SH-Investors ist es dennoch höchst zweifelhaft, in diesem Verfahren wirksam in Richtung einer unklaren Rechtslage bis zum Verjährungseintritt argumentieren zu können.
Zwar mag es durchaus zu klärende Rechtsfragen gegeben haben und immernoch zu geben, doch dies liegt in der Natur eines jeden Rechtsprozesses begründet. Uns erscheint es nicht zielführend zu sein, zu argumentieren, die Rechtslage sei zu unklar für eine Klageerhebung vor der eigentlichen Verjährung gewesen, allein weil nicht sicher war, wie ein Richter urteilen würde. Schließlich hat sich auch hier mit der Deutschen Balaton AG wiederum eine Klägerin gefunden, die die Rechtslage offenbar nicht als zu unklar empfand, um fristgerecht eine Klage einreichen zu können.
Der SH-Investor geht davon aus, dass mit dem Begriff der „unklaren Rechtslage“ vor allem grundsätzliche Rechtsfragen gemeint sind, deren vorherige Klärung nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist möglich war und deren Klärung zudem bereits für die Erhebung der Klage erforderlich gewesen wäre. Dies vermögen wir im Fall um die Genussscheine jedoch nicht zu erkennen. Die Auslegung von Recht und Gesetz obliegt hingegen schon seit jeher der Justiz, ohne dass man sich hierbei auf eine unklare Rechtslage berufen kann. Sämtliche offenen Fragen rund um die Genussscheine sind Gegenstand des eigentlichen Verfahrens und bedurften keiner Vorab-Klärung, um die Klageschrift überhaupt anfertigen zu können. Daher halten wir das Argument der unklaren Rechtslage hier für nicht ausreichend standfest.
Dazu muss jedoch gesagt werden, dass es sich in Bezug auf beide Gründe um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, die natürlich der Auslegung bedürfen. Insoweit erscheint es im höchsten Maße offen, ob davon ausgegangen werden kann, dass ein Richter in diesem Verfahren die Verjährung als gehemmt oder auch als nicht-gehemmt ansehen wird.
In der Gesamtschau auf alle Argumente geht der SH-Investor jedoch davon aus, dass alle Anleger, die nicht an dem Klageverfahren durch die Deutsche Balaton AG beteiligt sind, aus diesem Verfahren keine Ansprüche mehr ableiten können. Dem SH-Investor selbst wäre das Risiko, nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens auf eigene Rechnung zu klagen zu hoch, da Dräger die Ansprüche vermutlich mit der Einrede der Verjährung erfolgreich abwehren wird. Wer es dennoch wagen möchte, möge sich durch diese Einschätzung bitte nicht von seinem Vorhaben abgehalten fühlen.
Wird das Verfahren in der aktuellen Instanz seinen Abschluss finden?
Das Verfahren liegt momentan beim Lübecker Landgericht zur Bearbeitung. Die Einlegung einer Berufung vor dem Oberlandesgericht wird daher möglich sein und erscheint angesichts der Bedeutung des Verfahrens als sehr wahrscheinlich. Sollte das Oberlandesgericht in einem Urteil zudem Revision vor dem Bundesgerichtshof zulassen – was das OLG Schleswig aufgrund der Verfahrensbedeutung vermutlich tun wird – so würde es auch nicht verwundern, wenn das Verfahren erst vor dem Kadi in Karlsruhe entschieden würde.
Hiervon unberührt bleibt natürlich die Möglichkeit eines Vergleichs zwischen dem Drägerwerk und der Deutschen Balaton AG, welcher theoretisch in jeder Instanz erfolgen kann.
Für Verwunderung gesorgt hat jedoch die Tatsache, dass das Landgericht Lübeck die Klage nicht direkt an das Oberlandesgericht Schleswig „durchgewunken“ hat. Die hierdurch in die Länge gezogene Prozessdauer wird die Chance auf ein schnelles und rechtskräftiges Urteil daher weiterhin schmälern.
Der SH-Investor rechnet mit keinem Verfahrensabschluss mehr in diesem Jahrzehnt. Unberührt hiervon besteht natürlich die (recht hohe) Chance auf einen Vergleich, welcher jedoch in nicht allzu naher Zukunft zu erwarten ist.
Kann man der langen Verfahrensdauer auch einen positiven Aspekt abgewinnen?
Die lange Prozessdauer ist für viele Mitkläger insoweit problematisch, als dass hierdurch nicht zuletzt auch die Anwaltskosten in die Höhe getrieben werden, die im Falle des wahrscheinlichen Vergleichs einen eventuellen Auszahlungsbetrag erheblich schmälern dürften.
Der einzige Pluspunkt für die Anleger dürften die Verzugszinsen sein, welche Dräger im Falle eines entsprechenden Urteils zahlen müsste. Der Zinssatz hierfür liegt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags bei – aus Sicht der Anleger erfreulichen – 8,12% und damit weit höher als die aktuellen Renditen sämtlicher Dräger-Wertpapiere.
Wäre das Drägerwerk zur Einziehung der Genussscheine auch zu einem Rückkauf der Scheine über die Börse berechtigt?
Das Drägerwerk könnte seine Genussscheine genausogut auch über die Börse erwerben und auf diese Weise einziehen. Da die Einziehung von Genussscheinen nicht das Grundkapital der Gesellschaft berührt, bedürfte dies auch keinen Beschluss der Hauptversammlung. Laut Satzung ist die Zustimmung der Hauptversammlung gemäß §8 jedenfalls nur dann erforderlich, wenn Genussscheine ausgegeben werden sollen. Bei einer Einziehung dieser hat die Gesellschaft hingegen freie Hand.
Zudem sehen die Genussscheinbedinungen aller drei Serien explizit vor, dass das Drägerwerk gemäß §10 (Serien A und K), respektive §11 (Serie D) dazu berechtigt ist, Genussscheine jederzeit zu erwerben und gegebenenfalls einzuziehen. Einem Rückkauf über die Börse stünde daher -außer einem Vorstandsbeschluss- nichts im Wege.
Gelten für einen Rückkauf über die Börse besondere Meldepflichten?
Ob es einen solchen Rückkauf in der Vergangenheit womöglich sogar schon gegeben hat ist offen. Zumindest gelten keine entsprechenden Meldepflichten wie beim Aktienkauf, da das Wertpapierhandelsgesetz in §33 nur dann eine Mitteilungspflicht vorsieht, wenn bestimmte Schwellen beim Stimmrecht überschritten werden. Da Genussscheine – mit Ausnahme einer Insolvenz der Gesellschaft – jedoch keine Stimmrechte verbriefen, ist eine Veröffentlichungspflicht nicht gegeben.
Auch die Argumentation eines möglichen Stimmrechts im Insolvenzfall läuft ins Leere, da das Drägerwerk die zurückgekauften Genussscheine sicher nicht halten, sondern direkt einziehen, sprich: vernichten, wird. Das Drägerwerk würde also selbst im Falle einer Kompletteinziehung der Genussscheine bei einer Insolvenz niemals eine relevante Stimmrechtsschwelle überspringen.
Insofern könnte das Drägerwerk an der Börse durchaus relativ unerkannt agieren. Alles Andere würde auch keinen Sinn ergeben. Im Falle einer Rückkauf-Ankündigung für Genussscheine würde deren Preis vermutlich sofort in die Nähe des Zehnfachen der Aktien steigen.
Was spricht dafür, dass das Drägerwerk in der Vergangenheit bereits Genussscheine zurückgekauft hat?
Dafür dass das Drägerwerk oder die Familie Dräger in der Vergangenheit bereits Genussscheine zurückgekauft haben, spricht durchaus einiges. Auffällig ist insbesondere die Kursentwicklung der Genussscheine der letzten Jahre. So haben die Genussscheine in den letzten 15 Jahren absolute Traumrenditen erzielt, während die Dräger-Aktien in ihrem Wert weitgehend konstant geblieben sind. Das könnte durchaus für eine Angebotsverknappung bei den Genussscheinen sprechen. Auch die aktuelle Ausschüttungsrendite der Genussscheine von nur gut einem Prozentpunkt vermag kaum deren hohe Börsenbewertung zu rechtfertigen.
Welcher „Foltermethoden“ könnte sich das Drägerwerk noch bedienen, um die Genussschein-Inhaber zu einem Verkauf zu bewegen?
Dem SH-Investor fällt hierbei insbesondere eine Frage ins Auge: Wäre es dem Drägerwerk erlaubt, die Genussscheine von der Börse zu nehmen? Falls dem so wäre, so könnten die Genussscheine künftig kaum mehr gehandelt werden und die Scheine würden für die aller-meisten Investoren uninteressant. Es gibt keine gesetzliche Regelung, wonach Genussscheine börsengehandelt sein müssen.
Die Antwort auf die Frage, ob Dräger zu einem Delisting befugt wäre, lässt sich aus den Genussscheinbedingungen geben: Demnach ist für die Serie A weit und breit keine Börsennotierung vorgeschrieben. Dräger könnte das scharfe Schwert des Delistings also durchaus zücken. Dies beträfe immerhin knapp 200.000 der insgesamt rund 800.000 Genussscheine.
Bezüglich der Serien D und K kann jedoch immerhin teilweise Entwarnung gegeben werden. Zwar sehen die Genussscheinbedingungen keine explizite Börsennotierung vor, doch innerhalb der Regelungen rund um die Kündigungsmöglichkeit seitens der Genussschein-Inhaber heißt es bezüglich des Rückkaufwertes, dass sich dieser aus dem Mittelkurs der betreffenden Genussscheine an der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg berechne (§6, Abs. 2). Dazu ist zudem eine Wertpapier-Kennnummer (WKN) angegeben. Es darf daher davon ausgegangen werden, dass die Genussscheine zur Beibehaltung der Wirksamkeit dieser Genussscheinbedingungen zumindest in Hamburg börsennotiert bleiben müssen.
Insgesamt ist es unwahrscheinlich, dass das Drägerwerk tatsächlich zum Mittel des Delisting greifen wird, sofern man es sich nicht im Gänze mit dem Kapitalmarkt verscherzen möchte. Entstünde so der Eindruck, die Mehrheitsaktionäre des Drägerwerks wollten auf Kosten der restlichen Anleger Kasse machen, könnte es für die Zukunft sehr schnell schwer werden, das Unternehmen auch künftig am Kapitalmarkt zu finanzieren. Bei Kapitalerhöhungen steht man dann auch mal ganz ohne Abnehmer der neuen Papiere da. Das kann vom Vorstand des Drägerwerks nicht gewollt sein, weshalb der SH-Investor aktuell nicht an ein Wahrwerden dieser „Foltermethode“ glaubt.
In der letzten Folge unserer Serie werden wir uns unter anderem mit einem Fazit zum Verfahren rund um die Dräger-Genussscheine beschäftigen.
Dräger und seine Genussscheine – alle Folgen
Folge 1: Die goldenen Zeiten der Genussscheine
Folge 2: Probleme mit den Genüssen
Folge 3: Genussscheine loswerden – für Fortgeschrittene
Folge 4: Die Klage: Balaton vs. Dräger
Folge 5: Offene Fragen & Antworten
Folge 6: Fazit und Ausblick