Dräger und seine Genussscheine – Folge 1: Die goldenen Zeiten der Genussscheine

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Das Drägerwerk sorgt mit seinen drei Genussschein-Serien immer wieder für Gesprächsstoff – nicht zuletzt deshalb, weil sich um diese Genussscheine der wohl größte laufende Gerichtsprozess aller SH-Unternehmen dreht. Der SH-Investor nimmt dies zum Anlass, um in einer neuen Serie ausführlich über die Dräger-Genussscheine zu berichten. Heute: Folge 1 – Die goldenen Zeiten der Genussscheine!

Es gab eine Zeit, da waren Genussscheine der Goldstandard, wenn es darum ging, das weitere Unternehmenswachstum zu finanzieren. Denn Genussscheine haben so manchen Vorteil, den beispielsweise Kapitalerhöhungen oder Kredite nicht haben:
– So lässt sich ordentlich Geld in die Kasse spülen ohne dass man als Eigner die Kontrolle über das Unternehmen z.B. durch die Ausgabe junger Aktien abgeben muss, da der Besitz von Genussscheinen weder Stimm-, noch sonstige Aktionärsrechte verbrieft.
– Gleichzeitig gibt es auch keine fixen Zinsaufwendungen, die das Ergebnis selbst in ertragsschwachen Jahren belasten würden, da die Ausschüttungen der Genussscheine in der Regel an die Dividenden gekoppelt sind: Fällt die Dividende aus, geht in der Regel auch der Genussschein-Inhaber leer aus.
– Das Genussschein-Kapital muss in der Regel niemals zurückgezahlt werden und kann daher als eine Form des Eigenkapitals angesehen werden.

Genussscheine zur Eigenkapitalbeschaffung?
Wie bitte, Eigenkapital? Nein, das stimmt so leider nicht mehr! Denn in früheren Tagen waren Genussscheine auch noch in anderer Hinsicht hilfreich: Sie halfen nicht nur, die Kasse „flüssiger“ zu machen, sondern sie verbesserten gleichzeitig auch die Kapitalstruktur, da sie in der Bilanz in der Abteilung Eigenkapital verbucht werden konnten. Aufgrund der praktisch unendlichen Laufzeit dieses Finanzierungsinstruments – ähnlich wie bei einer Aktie – war das aus kaufmännischer Sicht auch durchaus vernünftig. Somit verbesserten Genussscheine auch die Eigenkapitalquote, was sich bei eventuellen Kreditaufnahmen in niedrigeren Zinsaufwendungen niederschlug.

Kurzgesagt: Die Jahre in der Mitte und im ausgehenden 20. Jahrhundert waren die goldene Zeit der Genussscheine. Unzählige Unternehmen brachten Jahr für Jahr diese Form der Hybridanleihe (Mischform aus Eigen- [da unendliche Laufzeit] und Fremdkapital [theoretische Möglichkeit der Rückzahlung]) auf den Markt, um sich zu finanzieren. So auch in den Jahren ab 1983, als das Lübecker Drägerwerk seine Genussscheine – teilweise auch als Belegschaftsvergütung – emittierte. Damals war gegen dieses Finanzierungsinstrument nichts einzuwenden. Und dies sollte auch noch eine ganze Zeit lang so bleiben.

Neue EU-Regeln beenden die Zeit der Genussscheine
Doch diese Zeiten sind mittlerweile vorbei. Nach der Finanzkrise 2008 erließ die EU im Rahmen der Basel-III-Vorschriften neue Regelungen, nach welchen viele alte Finanzierungsinstrumente, die früher als 100%iges Eigenkapital galten, heute komplett oder zumindest teilweise als Fremdkapital gebucht werden müssen. So gilt seither nur noch das voll haftende Kernkapital (das sogenannte Tier 1-Kapital) als Eigenkapital. Hierzu zählen Genussscheine seither leider nicht mehr.

Dies bestätigen auch die International Accounting Standards 32 (IAS-32). Demnach sind für die Einstufung von Genussscheinen als Fremd- oder Eigenkapital nicht mehr die Regelungen des Handelsgesetzbuches (HGB) ausschaggebend. Vielmehr kommt es nach den IAS-Richtlinien seither auf die Möglichkeit der Kapitalrückforderung seitens des Kapitalgebers an.

Kurzgesagt: Sehen die Genussscheinbedingungen vor, dass der Genussschein-Inhaber sein Wertpapier wie auch immer geartet in irgendeiner Weise kündigen kann, müssen Genussscheine heute als Fremdkapital gebucht werden.

Genüsse als aussterbende Spezies
Nun sind Genussscheine auch nach diesen neuen Regelungen immernoch als eine Hybridanleihe anzusehen, welche eben auch Eigenkapital-Merkmale besitzen. Daher gibt es zur Bereinigung dieser von der EU und der IFRS-Foundation gewollten „Buchungsfehler“ zwar den Begriff des „wirtschaftlichen Eigenkapitals“, doch häufig bleibt dennoch ein deutlich negativer Effekt dieser neuen Regelungen zurück, weshalb derartige Hybridanleihen heute die Kapitalstruktur deutlich belasten und so die meisten ihrer ehemaligen Vorteile verloren haben.

So kommt es, dass Genussscheine heute häufig als „aussterbende Finanzmarkt-Spezies“ bezeichnet werden. Und in der Tat ist die Neuausgabe von Genussscheinen derart unattraktiv geworden, dass Neu-Emissionen an der Börse praktisch nicht mehr vorkommen. Zudem versuchen Gesellschaften, die noch ausstehende Genussscheine in der Bilanz stehen haben, diese spätestens seit Basel-III vom Markt zu bekommen, sprich: einzuziehen.


Exkurs: Kleine Renaissance der Genüsse im GmbH-Bereich
In den letzten Jahren ist wieder ein verstärkter Trend hin zu Neu-Emissionen von Genussscheinen durch GmbHs und anderen Gesellschaften zu verzeichnen, die noch nach den „guten alten“ Regelungen des Handelsgesetzbuches bilanzieren (dürfen). Da für diese Unternehmen die modernen IFRS/IAS-Standards keine Anwendung finden, gelten für Sie auch die obengenannten Regelungen bezüglich des Fremd- und Eigenkapitals nicht.

Während sich die Buchhaltung nach IFRS vor allem an die Anteilseigner richtet, um eben diesen einen guten Überblick über das vorhandene Vermögen zu geben, sind die Regelungen des HGBs traditionell auf die Gläubiger der Unternehmen ausgerichtet. In der Regel wird daher nach HGB deutlich zurückhaltender bilanziert. So werden beispielsweise eventuelle Wertsteigerungen des Anlagevermögens (z.B. gestiegene Kurse gehaltener Wertpapiere, etc.) nicht berücksichtigt. Stattdessen ist und bleibt einzig der Kaufpreis der Güter für den Buchwert entscheidend. Dies führt in der Regel auch zu einem niedrigeren Jahresgewinn als nach IFRS.

Nach HGB etwas abweichend sind auch die Regelungen zu den Genussscheinen. Auch wenn es dazu im Handelsgesetzbuch keine konkrete Regelung gibt, so können nach HGB-bilanzierende Unternehmen Genussscheine in der Regel unter folgenden Voraussetzungen als Eigenkapital verbuchen:
1. Die Forderungen aus den Genussrechten müssen im Insolvenzfall nachrangig sein.
2. Die Genussrechte müssen auch an eventuellen Verlusten der Gesellschaft teilhaben, z.B. durch Verringerung des Genussrechtskapitals.
3. Die Vergütung muss erfolgsabhängig sein, sich also beispielsweise am Jahresgewinn orientieren.
4. Das Genussrechtskapital muss über einen „längeren Zeitraum“ zur Verfügung stehen. Was ein längerer Zeitraum konkret ist, wird in der Literatur durchaus unterschiedlich gesehen. Häufig werden hierunter jedoch Zeiträume ab 10 oder 15 Jahren verstanden. Und
5. Die Kapitalgeber haben eine mehrjährige Kündigungsfrist.

Wie man sieht, sind die Regelungen nach HGB deutlich weniger streng und in den aller-meisten Fällen durchaus erfüllbar, sodass sich Genussscheine für HGB-Gesellschaften als durchaus attraktives Finanzierungsinstrument erwiesen haben und momentan wieder im Kommen sind.

So hat beispielsweise die noch junge Kieler Brauerei „Lillebräu GmbH“ zur Finanzierung des Brauerei-Neubaus erst kürzlich Genussscheine mit einer besonderen Naturalien-Dividende ausgegeben: Für jedes der 150,- Euro-schweren Papiere darf sich der Genussscheininhaber jährlich 12 Flaschen Lille-Bier á 0,33l in der Brauerei abholen.
Na dann, Prost!


Rückkäufe häufig problematisch
Gilt es jedoch, die Genüsse wieder einzuziehen, so zeigen sich auch einige Nachteile der Genussscheine. Einer davon ist regelmäßig ihre praktisch unendliche Laufzeit. Es ist sehr schwer, manchmal gar unmöglich, die Genussscheine wieder komplett vom Markt zu bekommen. Nicht selten sehen die Genussscheinbedingungen weder eine feste Laufzeit, noch eine attraktive Kündbarkeit der Genussscheine vor. In der Regel sind im Falle einer Kündigung durch das Unternehmen derart hohe Rückkaufpreise vorgesehen, dass diese Option nur für die wenigsten Unternehmen infrage kommt.

Um die Genussscheine dennoch einziehen zu können, greifen die Unternehmen zu den verschiedensten Mitteln. Von der tatsächlichen Kündigung der Genussscheine bis zum Rückkauf über die Börse ist so ziemlich jede Taktik dabei. Ein besonders großes Repertoire an „finanziellen Foltermethoden“ hat hierbei das Drägerwerk präsentiert. Doch davon berichten wir ein anderes Mal.


Dräger und seine Genussscheine – alle Folgen
Folge 1: Die goldenen Zeiten der Genussscheine
Folge 2: Probleme mit den Genüssen
Folge 3: Genussscheine loswerden – für Fortgeschrittene
Folge 4: Die Klage – Balaton vs. Dräger
Folge 5: Offene Fragen & Antworten
Folge 6: Fazit und Ausblick

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