Das Drägerwerk sorgt mit seinen drei Genussschein-Serien immer wieder für Gesprächsstoff – nicht zuletzt deshalb, weil sich um diese Genussscheine der wohl größte laufende Gerichtsprozess aller SH-Unternehmen dreht. Der SH-Investor nimmt dies zum Anlass, um in einer neuen Serie ausführlich über die Dräger-Genussscheine zu berichten. Heute: Folge 6 – Fazit und Ausblick!
Heute am vorläufig letzten Tag unserer Serie über das Drägerwerk und das Verfahren rund um die Dräger-Genussscheine wollen wir einmal ein vorläufiges Fazit rund um den Gerichtsprozess ziehen und zudem auch einen kleinen Ausblick geben, wie die ganze Sache ausgehen könnte. Abschließend schauen wir uns außerdem noch einen nostalgischen Teilaspekt rund um die Geschichte der Dräger-Genussscheine an.
Fazit I: Was der Gerichtsprozess aufzeigt
Man ist es mittlerweile zwar leid, es immer wieder zu betonen zu müssen, doch der bisherige Fortschritt des gesamten Verfahren unterstreicht leider, wie langwierig handelsrechtliche Klagen gegen börsennotierte Unternehmen mitunter sein können. Der berühmt-berüchtigte Telekom-Prozess bildet dabei offensichtlich keine Ausnahme. Auch das Verfahren um die Dräger-Genussscheine zieht sich nun bereits seit der Klageerhebung durch die Deutsche Balaton im Jahr 2013 hin.
Nicht wenige Anleger empfinden neben dem ohnehin schon hohen Kostenrisiko eines Gerichtsverfahrens allein die langen Verfahrensdauern als Hemmnis, wenn es darum geht, die eigenen Rechte nötigenfalls auch auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Der bisherige Prozesshergang scheint diese Befürchtungen leider eher zu bestätigen. Einige Gewinner des Verfahrens stehen jedenfalls schon heute fest: Es sind die Anwälte auf beiden Seiten. Sie werden ihre Bezahlung mit Sicherheit erhalten – unabhängig davon wie es letztlich ausgeht. Nichtsdestotrotz bleibt zu hoffen, dass sich anhand dieses Prozesses künftig nicht noch mehr Privatanleger abgeschreckt fühlen, auf die Einhaltung ihrer Rechte zu pochen.
Fazit II: Warum das Verfahren womöglich so lange dauert
Ein befreundeter Jurist hat mir einmal erzählt, weshalb Klagen sich inzwischen womöglich immer länger und länger hinziehen. So ist es neben der mitunter komplizierten Rechtslage vor allem eine überlastete Justiz. Gut, dies allein vermag sicher nur die wenigsten Leser zu überraschen. Doch angeblich verfolgen einige Richter mit einem in die Länge gezogenen Verfahren womöglich noch eine zusätzliche Strategie. Mit zunehmender Verfahrensdauer sollen beide Parteien letztlich klagemüde gemacht werden, woraufhin die Bereitschaft, einen Vergleich zu schließen, wächst.
Ein Vergleich hat in Relation zu einem gefällten Urteil für den Richter einen ganz entscheidenden Vorteil: Er kann sich durch die nicht notwendige Urteilsbegründung viel Arbeit sparen. Wer einmal ein Urteil im Volltext gelesen hat, ahnt vielleicht, wie schnell ein Richter einen reinen Urteilsspruch fällen und niederschreiben kann. Wirklich kompliziert und für ihn langwierig wird es dann, wenn es darum geht, eine Begründung zum Urteilstenor zu verfassen. Diese ist zusammen mit der Darstellung des Tatbestandes selbst bei einfachsten Sachverhalten selten kürzer als 10 Seiten, im vorliegenden Genussschein-Fall vermutlich ungleich länger.
Nicht zuletzt dies ist ein Grund dafür, weshalb Richter selbst kurz vor einer Urteilsverkündung immer wieder Vergleiche vorschlagen und darauf drängen. Während die reine Verzögerung eines Verfahrens real also noch keine Arbeit spart – diese muss ja doch früher oder später erledigt werden – bringen Vergleiche den Richtern große Vorteile in ihren Arbeitsabläufen. Auch die Belastung der Justiz in nachfolgenden Instanzen wird so durch zwangsläufig ausbleibende Berufungen und Revisionen gesenkt.
Ich möchte an dieser Stelle jedoch betonen, dass ich keinem Richter und auch keinem Gericht konkret vorwerfen möchte, Verfahren absichtlich und aus Eigeninteresse in die Länge zu ziehen, doch angesichts einer weitgehend überlasteten Justiz und der oben angesprochenen Vorteile eines Vergleichs wäre ein solcher Vorgang wohl nur allzu verständlich. Ein Vergleich ist ja sogar für die klagenden Parteien in vielen Fällen nicht unbedingt die schlechteste Variante, lassen sich so die Prozessnebenkosten doch in der Regel niedrig halten.
Ausblick I: Wer das Verfahren gewinnen könnte
Nicht wenige Prozessbeteiligten rechnen damit, dass sich die vom Drägerwerk beschlossene Entschädigung für die Genussschein-Inhaber in Höhe von rund 5,50 Euro letztlich zu wenig gewesen sein könnte, um vor Gericht Bestand zu haben. Insofern erscheint eine Nachzahlung durchaus wahrscheinlich. Über deren konkrete Höhe kann jedoch genauso wie über den Verfahrensausgang bisher nur spekuliert werden.
Denn auch auf Seiten des Drägerwerks scheint man sich überaus sicher zu sein, dass die beschlossene Entschädigung für das fehlende Bezugsrecht seinerzeit billigem Ermessen entsprach. Dies lässt sich zumindest aus Aussagen des Dräger-Vorstandes während der Hauptversammlungen, wie auch aus dem Jahresabschluss schließen. Bekanntermaßen sind Unternehmen verpflichtet, für Gerichtsprozesse, welche Zahlungsverpflichtungen nach sich ziehen könnten, Rückstellungen in realistischer Höhe zu bilden.
Auch wenn der Geschäftsbericht für das Jahr 2013, dem Jahr des Klageeingangs, keine genauen Zahlen verraten, so lassen sich zumindest kleine Hinweise auf eine erstellte Rücklage finden. So listet der Geschäftsbericht unter dem Kapitel „Haftungsverhältnisse und sonstige finanzielle Verpflichtungen“ einige Zahlen auf. So hätten sich die gesamten Rückstellungen von 2012 auf 2013 um immerhin 38,7 Mio. Euro auf insgesamt 172,5 Mio. Euro erhöht.
Doch in diesen Zahlen sind auch weitere Rückstellungen enthalten, beispielsweise für Miet- oder Leasingverträge. Rechnet man Alles in Allem durch, so ergibt sich von 2012 auf 2013 eine mögliche Erhöhung der Rückstellung speziell für Rechtsrisiken um minimal 0,1 Mio. und um maximal 1,8 Mio. Euro. Hierzu muss jedoch eingeschränkt werden, dass sich diese Zahlen natürlich nicht ausschließlich auf den Genussschein-Rechtsstreit beziehen müssen. In jedem Fall lässt sich sagen, dass das Drägerwerk selbst offenbar mit keiner allzu hohen Nachzahlung rechnet.
Geht man einmal tatsächlich von jenen maximalen 1,8 Mio. Euro als zusätzliche Barabfindung für die Genussschein-Inhaber aus, so errechnet sich bei 87.000 verfahrensbeteiligten Genussscheinen maximal eine mögliche Zusatz-Abfindung in Höhe von 20,69 Euro pro Schein. Diese Zahl ist jedoch zum einen virtueller Natur und zum anderen sind abzuziehende Prozessnebenkosten noch nicht rausgerechnet. Insgesamt würde ein so hoher Entschädigungsbetrag auch kaum realistisch erscheinen.
Ausblick II: Wie das Verfahren wahrscheinlich endet
Von Beteiligten und Beobachtern rechnet offenbar kaum jemand damit, dass das Verfahren tatsächlich bereits vor dem Lübecker Landgericht seinen Abschluss finden wird. Ein Gang vor das Ober-Landesgericht in Schleswig erscheint daher unabhängig vom Ausgang eines erstinstanzlichen Urteils sehr wahrscheinlich. Dort in Schleswig – und unter Umständen auch noch anschließend vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe – könnte sich der Prozess freilich nochmals etwas in die Länge ziehen. Ob das ganze Verfahren dennoch überhaupt mit einem Urteil endet, darf durchaus bezweifelt werden.
Erfahrungsgemäß steigt die Bereitschaft dazu, einen Vergleich abzuschließen häufig besonders dann signifikant an, wenn der Rechtsweg nahezu ausgeschöpft ist. Nicht selten soll so aus Konzernsicht ein letztinstanzliches Urteil mit möglicher Signalwirkung für ähnlich gelagerte Fälle verhindert werden. Auch wenn dies im vorliegenden Verfahren um die Dräger-Genussscheine voraussichtlich nicht nötig sein dürfte, könnten die Deutsche Balaton und das Drägerwerk letztlich doch geneigt sein, das Verfahrensende mit einem Vergleich deutlich abzukürzen. Dies würde nicht zuletzt auch die Kosten des Verfahrens eher im Rahmen halten und könnte so letztlich beiden Seiten zu Gute kommen.
Die Wahrscheinlichkeit für ein Zustandekommen eines Vergleiches und dessen möglicher Inhalt wird dabei nicht zuletzt auch von der Klarheit und der Richtung möglicher vorinstanzlicher Urteile abhängen. Sollte sich eine der beiden Seiten rechtlich als die deutlich stärkere Partei herausstellen, würde dies einen Vergleich vermutlich erschweren. Daher bleibt es weiterhin abzuwarten, wie sich die Sache weiterentwickelt.
Nachtrag: Neueste Entwicklungen
24.02.2019: Die erstinstanzliche Urteilsverkündung vor dem Lübecker Landgericht wurde für den 26.02.2019 angesetzt. Der SH-Investor kann leider nicht vor Ort berichten.
27.02.2019: Die Urteilsverkündung wurde von Seiten des Lübecker Landgerichtes kurzfristig abgesagt. Ausführlicher Bericht HIER!
13.03.2019: Der neue Termin lautet nun auf den 02.04.2019. Der SH-Investor wird versuchen, bei der Urteilsverkündung live vor Ort zu sein.
29.03.2019: Selbst einfachste Anfragen zum Verfahren, wie z.B. Terminfragen, werden von Landgericht Lübeck leider beharrlich zurückgewiesen. Ich schließe daraus, dass das Urteil offenbar unter Ausschluss der Öffentlichkeit ergehen soll. Dies möchte ich insofern kritisieren, da es sich bei den klagenden Parteien um börsennotierte Aktiengesellschaften handelt. Sogar das Verfahren selbst dreht sich um am regulierten Markt gehandelte Wertpapiere. Viel öffentlicher kann ein Sachverhalt demnach gar nicht sein. Dennoch gilt es natürlich die Entscheidung des Gerichtes zu respektieren, sodass Der SH-Investor bei der Urteilsverkündung leider nicht anwesend sein kann. Auch eine Berichterstattung kann demnach leider nicht in dem geplanten Ausmaß erfolgen. Ich bitte um Ihr Verständnis.
09.04.2019: Das Lübecker Landgericht hat auch den neuerlichen Termin zur Urteilsverkündung abgesagt. Neuester Termin für das Urteil ist der 07.05.2019. Ausführlicher Bericht HIER!
08.05.2019: Im Dritten Anlauf ist tatsächlich ein erstinstanzliches Urteil vor dem Landgericht Lübeck ergangen. Demnach muss das Drägerwerk rund 8 Euro pro Genussschein plus Verzugszinsen nachzahlen. Den ausführlichen Bericht dazu finden Sie HIER!
Exkurs: Fakten für Nostalgiker
Zum vorläufigen Abschluss dieser Serie haben wir noch ein bisschen was aus der „guten alten Zeit“ an den Finanzmärkten für alle Freunde der Nostalgie:
Da die Dräger-Genussscheine in den Jahren ab 1983 ausgegeben wurden, wurden davon seinerzeit sogar noch effektive Stücke gedruckt und auf Kundenwunsch selbstverständlich auch ausgeliefert. Auch wenn die zunehmende Technisierung im Börsenhandel die physische Auslieferung von Wertpapieren spätestens zur Jahrtausendwende sehr unattraktiv und häufig auch nahezu unbezahlbar machte, gab es dennoch die Möglichkeit, auch weiterhin diese „echten“ Wertpapiere zu erhalten.
Erst im Jahre 2011 stellte das Drägerwerk seine Genussscheine komplett auf die sogenannte Girosammelverwahrung und damit auf ein rein elektronisches Wertpapier um. Noch bis 2011 konnten Genussschein-Inhaber daher mit dem Erneuerungsschein einen neuen Bogen mit weiteren Ausschüttungscoupons bei den Depotbanken anfordern und diese Coupons selbstverständlich auch einlösen. Mit der Umstellung auf die Girosammelverwahrung 2011 endete damit auch bei Dräger die Zeit der gedruckten Wertpapiere.
Ob mittlerweile tatsächlich alle Anleger ihre Genussscheine zur Verwahrung eingereicht haben oder ob womöglich einzelne, in Kurs befindliche effektive Stücke noch im Umlauf sind, ist nicht bekannt. In jedem Fall können Genussscheine, die noch als effektive Stücke vorliegen seit 2011 weder erneuert werden, noch nehmen sie seither an den jährlichen Ausschüttungen teil. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass einige dieser echten Wertpapiere noch heute in Bankschließfächern liegen. Wer nur lang genug wartet und dem Drang zur Einlieferung widersteht, hat hier eine echte Chance, in Zukunft ein begehrtes Sammlerstück zu besitzen.
Teils horrende Gebühren für die physische Auslieferung
Dass die physische Auslieferung von Wertpapieren durch die Banken heutzutage mit derart hohen Gebühren belegt wurde, findet der SH-Investor ein wenig schade. Offiziell lautet die Begründung für die hohen Gebühren, dass die physische Lieferung nicht automatisierbar und daher mit hohen Personalkosten verbunden sei, welche an die Kunden weitergegeben werden müssten. Deshalb seien die Banken gezwungen diese – oft drei- oder gar vierstelligen – Gebühren zu erheben.
Wie es hingegen sein kann, dass eine Dienstleistung, die heute nahezu unbezahlbar ist, früher Gang und Gäbe und mit nur geringen Kosten verbunden war, konnte dem SH-Investor heuer noch kein Bankangestellter glaubhaft erläutern. Es liegt die Vermutung nahe, dass die tatsächliche Erklärung für die hohen Gebühren darin zu suchen ist, dass man versucht, alles Physische – analog zu den aktuellen Bestrebungen beim Bargeld – aus den Banken zu verbannen. Computer sollen die Banken künftig alleine steuern können. Nahezu alle Broker sehen die Möglichkeit einer physischen Auslieferung mittlerweile noch nichteinmal mehr vor.
Dräger und seine Genussscheine – alle Folgen
Folge 1: Die goldenen Zeiten der Genussscheine
Folge 2: Probleme mit den Genüssen
Folge 3: Genussscheine loswerden – für Fortgeschrittene
Folge 4: Die Klage: Balaton vs. Dräger
Folge 5: Offene Fragen & Antworten
Folge 6: Fazit und Ausblick