Das Drägerwerk sorgt mit seinen drei Genussschein-Serien immer wieder für Gesprächsstoff – nicht zuletzt deshalb, weil sich um diese Genussscheine der wohl größte laufende Gerichtsprozess aller SH-Unternehmen dreht. Der SH-Investor nimmt dies zum Anlass, um in einer neuen Serie ausführlich über die Dräger-Genussscheine zu berichten. Heute: Folge 3 – Genussscheine loswerden – für Fortgeschrittene
Seitdem die Probleme mit den niedrigen Dividenden zunehmend nicht mehr von der Hand zu weisen sind, möchte das Drägerwerk seine Genussscheine also möglichst weitgehend einziehen. Doch warum sollten die Genussschein-Inhaber ihre Papiere abgeben, wenn sie von der zehnfachen Vorzugsaktien-Dividende wie die vielzitierte Made im Speck leben?
Hoher Rückkaufpreis bei Kündigung durch Dräger
Theoretisch hat Dräger zwar die Möglichkeit die Genussscheine aller Serien zu kündigen und diese so einzuziehen. Doch das Problem hierbei liegt in den Genussscheinbedingungen. Demnach müsste Dräger im Falle einer Kündigung als Entschädigung den zehnfachen Börsenwert der Vorzugsaktie zahlen oder ersatzweise zehn Vorzugs- oder Stammaktien liefern.
Zwar widerrief das Drägerwerk im Mai 2011 den zweiten Teil, doch die Genussscheinbedingungen sehen diese Ersatzlieferung in Form von Aktien bis heute immernoch so vor. Es ist daher nicht ganz klar, welche Rechtswirkung die damalige einseitige Erklärung tatsächlich entfaltet und ob das Drägerwerk nocheinmal zurückrudern dürfte. Doch das spielt für unseren Fall auch gar keine große Rolle.
Also nochmal im Klartext: Dräger müsste also den Preis von zehn Vorzugsaktien bezahlen, um umgerechnet zehn Dividendenzahlungen einzusparen. Da das Verhältnis von 10:10 mathematisch gleich dem von 1:1 ist, könnte Dräger also genausogut auch ein Aktien-Rückkaufprogramm initiieren und pro zurückgekaufter Aktie genau eine Dividendenzahlung einsparen. Damit würde man die Anteilseigner vermutlich sogar glücklicher machen als mit einem Genussscheinrückkauf zu diesem exorbitant hohen Preis. Und so dachte man sich bei Dräger womöglich notgedrungen andere Strategien aus, um die Zahl der ausstehenden Genussscheine zumindest zu reduzieren.
Strategie #1: Freiwilliges Rückkaufangebot
2012 veröffentlichte Dräger ein Rückkaufangebot an die Genussschein-Inhaber. Demnach wurde pro Genussschein eine Entschädigung in Höhe von 210 Euro geboten. Dies lag seinerzeit zwar knapp oberhalb des damaligen Börsenkurses der Genussscheine, doch es entsprach gleichzeitig eben auch nur dem rund 2,5fachen des Kurses der Vorzugsaktie. Und so haben offenbar nur wenige Genussschein-Inhaber von dem Rückkaufangebot Gebrauch gemacht. Stattdessen stieg der Kurs der Genussscheine einfach über die 210-Euro-Schwelle hinweg und steigt seither immer weiter. Heute notieren die Papiere bei rund 350 Euro.
Offenbar spekulieren die Anleger auf ein deutlich höheres Rückkaufangebot. „Warum sollte ich meine Genussscheine für diesen Preis abgeben, wenn ich langfristig womöglich den zehnfachen Vorzugsaktienkurs dafür bekomme?“, hört man aus Kreisen der Genussschein-Inhaber. Einige wollen offenbar tatsächlich den zehnfachen Wert der Vorzugsaktie ausgezahlt bekommen. So leicht wurde Dräger die Genussscheine also nicht los. Daher zündete man Phase 2 der Einziehungsaktion.
Strategie #2: minimale Dividenden zahlen
Da die Genussschein-Ausschüttung dem Zehnfachen der Aktiendividende entspricht, dürfte es ein Leichtes sein, die Genussschein-Inhaber Jahr für Jahr nahezu leer ausgehen zu lassen, zumal die Familie Dräger über die unangefochtene Stimmenmehrheit beim Drägerwerk verfügt. Mit den jährlich niedrigen Dividendenvorschlägen solle versucht werden, die Genussscheininhaber „weichzukochen“, so die hinter vorgehaltener Hand geäußerte Vermutung.
Seitens der Unternehmensführung begründet man die niedrigen Dividendenvorschläge seit vielen Jahren mit dem Wunsch nach einer höheren Eigenkapitalquote. Erst sollten es 30 % werden, dann 35 und 40 %. Heute ist man sogar bei einer Eigenkapitalquote von 45 % angekommen. Und dennoch will man bei Dräger auch künftig nicht mehr als 10 % des Jahresergebnisses als Dividende ausschütten. Doch die Genussschein-Inhaber erweisen sich bisher als erstaunlich zäh. „So leicht bekommen die mich nicht raus!“, ist in einschlägigen Foren des Öfteren zu lesen. Man versucht also, seine Rechte schlicht aus-, bzw. einzusitzen.
Strategie #3: Benachteiligung der Genussscheine
(Hinweis: Chronologisch müsste diese Strategie an erster Stelle stehen. Doch weil wir an dieser Stelle etwas weiter ausholen müssen, haben wir sie in diesem Beitrag an die dritte Stelle gesetzt.)
2010 beschloss das Drägerwerk eine Kapitalerhöhung und damit die Ausgabe junger Stammaktien. Weitere Vorzugsaktien konnten damals nicht mehr ausgegeben werden, da keine Aktiengesellschaft mehr Vorzüge als Stämme emittieren darf. Seit dieser Kapitalerhöhung werden die Dräger-Stammaktien überhaupt erst börsengehandelt. Zuvor gab es für die Stammaktien keine Notierung, da diese bis dato ohnehin komplett durch die Familie Dräger gehalten wurden. Erst mit der Kapitalerhöhung von 2010 konnten die Vorzugsaktionäre die neu ausgegebenen Stammaktien erwerben. Der Stimmrechtsanteil der Familie Dräger schmolz so auf die heutigen gut 71 % ab.
Doch zurück zu den Genussscheinen! Bei mehr ausstehenden Aktien wird der Jahresgewinn des Konzerns pro Aktie und damit auch die Divdende pro Aktie zwangsläufig kleiner, da annähernd dieselbe Gewinnsumme fortan durch eine größere Aktienanzahl geteilt wird. Diese sogenannte Verwässerung wirkt sich natürlich auch – und zwar um den Faktor 10! – nachteilig auf die Genussscheine aus.
Daher muss den Genussschein-Inhabern für das Erdulden dieser fortan dauerhaften Benachteiligung eine Entschädigung angeboten werden. Blöderweise hatte man bei Dräger vergessen, einen solchen Fall in den Genussscheinbedingungen konkreter zu regeln. Daher lagen nun gleich mehrere Optionen auf dem Tisch.
Die Entschädigungsoptionen
1. Ausgabe neuer Genussscheine im Rahmen des Verwässerungsschutzes:
Dies wurde von der Hauptversammlung jedoch abgelehnt, weil der Hauptaktionär Stefan Dräger (und selbstverständlich auch viele weitere Aktionäre) Genussscheine für nicht mehr zeitgemäß hält. Laut Stefan Dräger haben Genussscheine „ihre Funktion als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung weitgehend verloren“, womit er sicher nicht Unrecht hat. Zudem würde durch Ausgabe neuer Genussscheine eine Bereinigung der Kapitalstruktur weiter erschwert werden.
2. Bezugsrecht auf junge Aktien für die Genussschein-Inhaber im Verhältnis 10 junge Aktien pro Genussschein:
Auch diese Option fand absehbar keine Mehrheit. Und so trat die dritte Variante in Kraft.
3. Entschädigung der Genussschein-Inhaber durch Barabfindung:
Da die Abfindung in den Genussscheinbedingungen nicht konkret geregelt worden war, musste gemäß der Bedingungen eine Abfindung nach „billigem Ermessen“ durch die Hauptversammlung beschlossen werden.
Nach dem Geschmack der Genussschein-Inhaber hat man hierbei das Wort „billig“ jedoch nur allzu genau genommen. Die Abfindung wurde auf gerade mal rund 5,50 Euro pro Genussschein (exakter Betrag abhängig von der Genussschein-Serie) berechnet. Dieser Betrag erschien vielen Genussschein-Inhabern als viel zu niedrig angesichts der Tatsache, dass sie bis in alle Zukunft mit deutlich geringeren Ausschüttungen zu rechnen hatten. Ein Verwässerungsschutz über den Kauf neuer Genussscheine war mangels Neuausgabe dieser defacto unmöglich. Und für einen wirksamen Verwässerungsschutz über den zusätzlichen Kauf junger Aktien hatte der Barabfindungsbetrag bei weitem nicht ausgereicht. Man habe die Genussschein-Inhaber „billig abgespeist“ lautete daher mitunter das verärgerte Fazit auf Seiten der Anleger.
Doch die Rechnung schien für Dräger lange Zeit aufzugehen. Privat-Investoren erweisen sich schließlich erfahrungsgemäß häufig als nur wenig Klage-freudig, wenn es darum geht, eigene Rechte durchzusetzen. Und so regten sich eine ganze Zeit lang zwar viele Beschwerden, doch es gab keinen Grund anzunehmen, Dräger würde mit seinem Plan nicht durchkommen. Das änderte sich jedoch schlagartig, als im Jahre 2011 ein neuer Akteur das Spielfeld betrat. Doch davon berichten wir beim nächsten Mal.
Dräger und seine Genussscheine – alle Folgen
Folge 1: Die goldenen Zeiten der Genussscheine
Folge 2: Probleme mit den Genüssen
Folge 3: Genussscheine loswerden – für Fortgeschrittene
Folge 4: Die Klage – Balaton vs. Dräger
Folge 5: Offene Fragen & Antworten
Folge 6: Fazit und Ausblick