+ Erstinstanzliches Urteil ist erfolgt
+ Drägerwerk muss nachzahlen
+ Berufung gilt als wahrscheinlich
Lange war das erstinstanzliche Urteil im Prozess um die Dräger-Genussscheine erwartet worden. Insgesamt drei Anläufe und zahlreiche Rechtsgutachten hat es gebraucht, um nun endlich zu einem Urteil zu kommen. Demnach kommen Nachzahlungen auf das Lübecker Unternehmen zu.
Verfahren zog sich jahrelang hin
Seit nunmehr bereits acht Jahren läuft das Verfahren rund um die Dräger-Genussscheine vor dem Lübecker Landgericht. Kläger sind allen voran die Deutsche Balaton AG und die Sparta AG. Hinzu kommen zahlreiche weitere Genusschein-Inhaber, die sich der Klage bis Ende 2014 anschließen konnten und dies vielfach auch getan haben. Was war zuvor geschehen?
Im Jahr 2010 hatte das Drägerwerk seine bis heute letzte Kapitalerhöhung durchgeführt, in deren Folge auch die Stammaktien an die Börse gebracht wurden. Aufgrund dieser Kapitalerhöhung war den Genussschein-Inhabern im Rahmen ihres Verwässerungsschutzes grundsätzlich ein Bezugsrecht auf junge Genussscheine einzuräumen. Doch weil das Drägerwerk seinerzeit keine weiteren Genussscheine mehr ausgeben wollte, mussten die Anleger anstelle dessen in bar abgefunden werden. Mit einer insgesamt unklaren und häufig als zu kleinkariert kritisierten Berechnungsmethode kam man so – in Abhängigkeit von der konkreten Genussschein-Serie – auf einen Betrag von rund 5,50 Euro. Dieser wurde den Genussschein-Inhabern als Abfindung für das fehlende Bezugsrecht ausgezahlt.
Dräger muss draufzahlen
Doch genau jene Berechnungsmethode war offenbar grob fehlerhaft und gereichte den Genussschein-Inhabern ihrerzeit finanziell zum Nachteil, wie das Lübecker Landgericht nun feststellte. Zahlreiche kostspielige Gutachten hatten sich zuvor mit der Berechnungsmethode befasst und waren in der Summe zu einem anderen Ergebnis als zuvor das Drägerwerk gekommen, wie aus informierten Kreisen bekannt wurde.
Und so entschied das Landgericht Lübeck nun, dass das Drägerwerk im Jahre 2011 nicht nach „billigem Ermessen“ gehandelt hatte, als man für das fehlende Bezugsrecht lediglich 5,50 Euro pro Genussschein als Entschädigung zahlte. Dem jetzigen Urteil zufolge wären damals vielmehr 13,50 Euro je Genussschein zu leisten gewesen, um geltendem Recht zu entsprechen. Dies ergibt nach Abzug der bereits im Jahr 2011 geleisteten Entschädigung einem Nachzahlungsbetrag in Höhe von 8 Euro je Wertpapier.
Verzugszinsen werden fällig
Zu dieser Nachzahlung kommen jedoch noch die angefallenen Verzugszinsen hinzu – und zwar seit dem 06.05.2011. Der Zinssatz hierfür beträgt für Handelsgeschäfte derzeit stolze 8,12%. Diese sind für die schuldig gebliebenen 8 Euro anzusetzen. Unter Berücksichtigung der historischen Verzugszinssätze für Handelsgeschäfte ergeben sich somit nach Berechnung des SH-Investors Verzugszinsen bis zum heutigen Tag in Höhe von 5,16 Euro je Genussschein. Mitsamt der nachzuzahlenden 8 Euro muss das Drägerwerk dem nun gefällten erstinstanzlichen Urteil zufolge einen Betrag in Höhe von rund 13,16 Euro pro Genussschein nachzahlen.
Da bis heute unklar ist, wie viele Genussscheine tatsächlich am Verfahren teilnehmen, ist es schwierig aus Sicht des Drägerwerks einen Gesamtschaden zu errechnen. Geht man jedoch von den 87.000 Genussscheinen aus, über die die Deutsche Balaton AG nach eigener Aussage 2016 verfügte, so ergeben sich allein hierfür Auszahlungen für Entschädigungen in Höhe von gut 1,1 Mio. Euro. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass die tatsächliche Anzahl prozessierender Genusscheine bei deutlich über den genannten 87.000 Stück liegt.
Berufung gilt als wahrscheinlich
Dass die klagenden Parteien angesichts des nun gefällten Urteils zufrieden sind, darf jedoch durchaus bezweifelt werden. Hinter vorgehaltener Hand gesprochen erwartet man dort Entschädigungen zwischen 25 und 30 Euro pro Genussschein – plus Verzugszinsen. Es darf daher als durchaus wahrscheinlich gelten, dass es im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Schleswig zur Berufung kommen wird.
Doch selbst falls die Kläger mit dem Urteil zufrieden sein sollten, so dürfte sich zumindest das Drägerwerk über den Richterspruch ärgern. Dieses muss mit dem nun ergangenen Urteil neben den Nachzahlungen und Verzugszinsen zusätzlich auch die gesamten Prozesskosten übernehmen. Hierzu zählen neben den ohnehin bereits üppigen Gerichtskosten und Anwaltshonoraren auch die Kosten für die drei erstellten Rechtsgutachten. Deren Kosten summieren sich offenbar auf einen sechsstelligen Betrag.
Urteil des Finanzmarktes steht noch aus
Unklar ist noch, wen der Finanzmarkt letztlich als Gewinner des nun vorerst abgeschlossenen Verfahrens sehen wird. Zwar hat das Drägerwerk aus rechtlicher Sicht verloren, doch nicht wenige Beteiligte waren zuvor von höheren Nachzahlungsbeträgen ausgegangen. Daher erscheint es durchaus möglich, dass das Drägerwerk am Finanzmarkt vorerst als Gewinner der ersten Instanz gilt.
Dies wird jedoch auch davon abhängen, ob und – falls ja – wie hohe Abwertungen nun auf die Dräger-Bilanz zukommen. Es ist nicht öffentlich bekannt, welchen Betrag das Drägerwerk als Prozessrückstellung auf der Passivseite der Bilanz reserviert hat. Eine Analyse des SH-Investors hat diesbezüglich kein aussagekräftiges Bild ergeben. Ein Betrag in Höhe von maximal 1,8 Mio. Euro erscheint als möglich. Sollte dies der Fall sein, so ließe sich das nun ergangene Urteil womöglich aus den vorliegenden Rückstellungen decken und es kämen keine zusätzlichen Aufwendungen auf die Aktionäre zu.
Auffällig ist jedenfalls, dass es das Drägerwerk bisher nicht für nötig gehalten hat, eine Ad-hoc-Meldung oder zumindest eine Unternehmensmitteilung zum ergangenen Urteil herauszugeben.
Sehr geehrter Herr Nissen,
wie Sie sicherlich schon wissen, sind alle Parteien (Dt.Balaton, Sparta und auch Dräger) in die Berufung gegangen. Das Verfahren liegt jetzt beim Schleswig-Holsteinischen OLG in Schleswig. Es wurden wiederum
Fristverlängerungsanträge seitens Dräger zur Berufungsbegründung bis zum 9. September gestellt und seitens des Gerichts gewährt. Das soweit zum Dräger Genussschein Prozess.
Die Notierungen der Dräger Aktien erreichen heute langjährige Tiestkurse und auch die Spreads bei den Genussscheinen sind nicht mehr nachvollziehbar. Serie K in Frankfurt jetzt gestellt 206G – 280 B = 26,43%.
Bei weiterer negativer Tendenz vermute ich, dass ein erneutes Rückkaufangebot für die Genüsse kommt.
Das Ganze wäre dann allerdings arg „durchsichtig“.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Leser,
in der Tat ist die Information, dass die beteiligten Parteien mittlerweile Berufung eingelegt haben, auch zu mir durchgedrungen. Ob Dräger wohl auch aus strategischen Gründen in Berufung geht??? Immerhin hatte ich auf der Hauptversammlung den Eindruck, die Gesellschaft sei mit dem moderaten Nachzahlungsbetrag nicht gerade unzufrieden. Was den Rest angeht, so sind Sie wie üblich ganz vorzüglich informiert. Vielen Dank!
Und die Genüsse? Tja, das ist wirklich fast schon abenteuerlich, was da aktuell an den Börsen passiert. Ein Rückkaufangebot zum jetzigen Zeitpunkt wäre aus meiner Sicht ebenfalls recht durchschaubar. Fakt ist aber auch: Jetzt, wo die Vorzüge den tiefsten Stand seit 2010 erreicht haben, könnte durchaus eine gute Gelegenheit sein, immerhin ein paar Genüsse kostengünstig einzusammeln. Auch eine ordentliche Kündigung zum zehnfachen Preis der Vorzugsaktie erscheint beim aktuellen Kurs gar nicht mehr so unattraktiv.
Nun, ich bin gespannt, ob/was Dräger sich da Schönes einfallen lässt.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Nissen
Sehr geehrter Herr Nissen
ich wollte mal fragen ob der Nachzahlungsanspruch aus der Verwässerung am aktuellen Besitz der Genüssen selbst hängt oder am Besitz des Scheins am Tag der HV, an dem die Zahlung von 5,50 Euro beschlossen wurde. Hintergrund ist der, dass erst mit dem rechtskräftigen Urteil die Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden sein dürfte, da die Rechtslage für eine Klage zu unsicher und zweifelhaft war. Durch das rechtskräftige Urteil ist diese aber jetzt klar. Ich kann aber nur dann Ansprüche an Drägerwerk stellen, wenn der Nachzahlungsanspruch am aktuellen Besitz Schein selbst hängt und nicht am Besitz des Scheins am Tag der HV, da ich die Genüsse erst 2012 erworben habe. Wenn der Anspruch am aktuellen Besitz der Scheine hängt dürfte dann jeder aktuelle Besitzer eines Genussscheins unter Hinweis auf die noch nicht erfolgte Verjährung Ansprüche auf Zahlung an Dräger stellen. Danke für die Antwort
Einen schönen guten Tag Herr Massonne,
was Sie oben ausführen ist in der Tat eine ganz interessante Frage, die sich natürlich viele Genussschein-Inhaber stellen. Die Frage ist jedoch nicht leicht zu beantworten. Da es auch unter Juristen – zu denen ich nicht gehöre – sehr verschiedene Auffassungen zu diesem Thema gibt, kann und darf ich nur ganz allgemein auf diese Frage eingehen. Wer in der jetzigen Genussschein-Klage nicht beteiligt und erfolgreich war, hat ja womöglich noch eine kleine Hintertür, die Sie ganz richtig ansprechen. Doch die Voraussetzungen erscheinen schwierig:
Man müsste
1.) durchsetzen, dass die Ansprüche auf Abfindung tatsächlich am Schein hängen und auch mit diesem weitergehandelt worden sind (z.B. in Form eines Preisaufschlages) und nicht etwa längst auf den Inhaber des Scheines zum Zeitpunkt der Abfindung übergegangen sind und
2.) nachweisen, dass die Rechtslage wie von Ihnen angesprochen tatsächlich unzumutbar undurchsichtig war, um eine Klage zu erheben.
In Punkt 1.) könnte man durchaus gute Chancen haben, immerhin vertrat das Drägerwerk auf einer Hauptversammlung vor einigen Jahren in der Tat selbst die Auffassung, dass die Ansprüche an den Genussscheinen hingen. So verlautbarte man es zumindest auf konkrete Nachfrage eines Aktionärs. Doch diese Meinungsäußerung dürfte rechtlich kaum bindend sein und ich bin mir sicher, dass die Dräger-Anwälte durchaus dagegen zu argumentieren wüssten.
Bezüglich Punkt 2.) habe ich persönlich durchaus meine Bauchschmerzen. Wenn man argumentieren möchte, dass die Rechtslage derart komplex war, dass eine Klageerhebung nicht zumutbar gewesen sei und die Verjährungsfrist erst ab der Rechtskräftigkeit des Berufungsurteils begänne, so wird man zumindest folgende drei Punkte argumentativ aushebeln müssen:
1. Wie kann es sein, dass die Klageerhebung unzumutbar gewesen sein soll, wo sich mit der Deutschen Balaton AG, zahlreichen Privatklägern im Adhäsionsverfahren, der Sparta AG, sowie weitere Privatanleger (in einem zweiten Genussschein-Prozess) doch durchaus Kläger gefunden haben, die eine Klage offenbar nicht unzumutbar einschätzten? Derart unzumutbar kann die Klage demnach kaum gewesen sein. Man wird möglichen Klägern vorhalten, lediglich unzulässigerweise Gerichtskosten gescheut zu haben.
2. Zudem gab es ja durchaus die Möglichkeit, sich der Klage von Balaton/Sparta risikoarm anzuschließen. Auch wenn sich die Abtretung der Abfindungsansprüche an Balaton letztlich als unzulässig herausgestellt hat, hätte ja doch jeder Anleger die Möglichkeit gehabt, neben Sparta und Balaton gleichberechtigter Kläger zu werden oder im Rahmen von Zusammenschlüssen gemeinsam in einem anderen Verfahren zu klagen und auch dadurch das Risiko hoher Gerichts- und Verfahrenskosten deutlich zu reduzieren.
3. Zusätzlich sieht man die Rechtslage am Schleswiger Oberlandesgericht offenbar als gar nicht so komplex an. Dort reduzierte die vorsitzende Richterin den Sachverhalt ganz schlicht auf die „Auslegung billigen Ermessens“, weshalb auch keine Revision vor dem Bundesgerichtshof zugelassen wurde. Bedenken Sie zudem, dass man am OLG die Genussschein-Inhaber nicht wie „Verbraucher beim Lebensmittel-Einkauf“, sondern wie „erfahrene und verständige Vertragspartner“ (wörtliches Zitat vom OLG!) behandeln wird.
Meine ausführlichere Meinung zu Punkt 2.) habe ich des Weiteren im folgenden Beitrag unter der Frage „Kann ich als Anleger auch dann noch profitieren, wenn ich die Verjährung nicht fristgerecht gehemmt habe?“ beschrieben:
https://sh-investor.de/draeger-genussscheine-offene-fragen-423/
Bitte verzeihen Sie mir die obige, freche Argumentation und verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin in diesem Punkt durchaus auf Ihrer Seite, doch die Dräger-Anwälte werden freilich mindestens jene obigen Argumente hervorbringen, gegen welche man sicher argumentieren kann, doch ob dies auch zum Erfolg führt ist schlicht ungewiss. In jedem Fall wünsche ich Ihnen – wofür Sie sich auch entscheiden mögen – viel Erfolg, Herr Massonne!
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Haftungsausschluss:
Bezügliches dieses Kommentars, sowie allen erwähnten und verlinkten Beiträgen gilt folgender Haftungsausschluss: Als Nicht-Jurist bin ich weder imstande noch rechtlich in der Lage Rechtsberatung leisten zu dürfen. Obiger Text wurde daher so sachlich und neutral wie möglich gehalten. Der gesamte Beitrag ist keine Rechtsberatung. Die Benutzung des Inhalts erfolgt ausschließlich auf eigene Gefahr.
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P.S.: Haben Sie gesehen, dass mittlerweile das Berufungsurteil vor dem OLG ergangen ist? Sie finden den dazugehörigen Bericht hier:
https://sh-investor.de/kurzbericht-zum-urteil-im-draeger-genussscheinprozess-2941/
Viele Grüße
Matthias Nissen
– sh-investor.de –